Transparenz ist kein Selbstzweck: Warum Vertrauen wichtiger ist als ein geteilter Terminkalender
Ich gestehe: Als Führungskraft arbeite ich nicht transparent. Zumindest nicht in dem Maße transparent, wie in den vergangenen Jahren von vermeintlich modernen Führungskräften zur Schau gestellt und gefordert.
Bisweilen treibt dieser Trend absurde Blüten: So kam ich kürzlich in den zweifelhaften Genuss, den Terminkalender einer Führungskraft einzusehen, den diese auf LinkedIn geteilt hatte. Im Sinne der maximalen Transparenz gegenüber ihren Mitarbeiter:innen, versteht sich.
Für dieses merkwürdige Verhalten gibt es eine Erklärung, die ich immer häufiger bei Führungskräften beobachte: Das Buzzword Transparenz ist dermaßen positiv aufgeladen, dass Führungskräfte einfach nicht widerstehen können, anhand absurder Öffentlichkeitsstunts zu behaupten: „Seht her, wie transparent ich bin!“ Transparenz als Selbstzweck. Eine transparente Anbiederung an die Mitarbeiter:innen – und ein Signal der „modernen“ Führungskraft an die Peergroup.
Dem ganzen liegt der Irrglauben zugrunde, dass Transparenz gleichbedeutend mit einer lückenlosen Offenlegung aller Vorgänge und Entscheidungen in Echtzeit ist. Und ein Allheilmittel.
Unter dieser Maßgabe könnte ich den größten Unsinn verzapfen und dennoch als Erfolg verkaufen: „Was regt Ihr Euch auf, dass wir pleite sind, ich habe Euch meinen Plan doch maximal transparent dargestellt – und sogar meinen Terminkalender bei LinkedIn veröffentlicht!“
Und drehen wir den Transparenz-Spieß einmal um: Forderte ich als Führungskraft maximale Transparenz von meinen Mitarbeiter:innen ein, würde zurecht der Vorwurf laut, ich vertraute meinen Mitarbeiter:innen nicht. Aber genau das macht Transparenz aus: Vertrauen.
Transparenz bedeutet, Kontext zu teilen.
Das bedeutet, dass eine Führungskraft die Hintergründe, die zu einer bestimmten Entscheidung geführt haben, erklärt: Ziele, abgewogene Optionen, berücksichtigte Risiken, erwartete Auswirkungen. Ich gebe als Führungskraft Einblicke in den Entscheidungsprozess, sodass Teammitglieder und Stakeholder verstehen können, warum ich in einer bestimmten Weise entschieden habe. Entschieden habe. Perfekt – eine abgeschlossene Handlung.
Zu viel und zu frühe Transparenz ist hinderlich. Sie hält Mitarbeiter:innen davon ab, ihren Aufgaben nachzugehen. Sie hält die Führungskraft davon ab, ihre Aufgaben zu erledigen. Es geht dabei um Kompetenzen, es geht darum, die eigene Funktion im Unternehmen einordnen und akzeptieren zu können.
Was sind meine Aufgaben als Führungskraft? Ich übernehme Verantwortung für meine Mitarbeiter:innen. Ich halte ihnen den Rücken frei. Ich setze strategische Leitlinien um und passe sie meinem Team an. Ich weise Aufgaben zu. Ich unterstütze meine Mitarbeiter:innen, ihre Fähigkeiten und ihre Talente bestmöglich in die Organisation einbringen zu können.
Dazu bedarf es Vertrauen – in beide Richtungen. Ich vertraue Euch, dass Ihre Eure Aufgaben erledigt. Vertraut mir, dass ich meine Aufgaben in Eurem Sinne wahrnehme.
War das transparent genug?