Business Insider: Vom Startup in die Kaserne: Wie Ex-Hacker Sven Weizenegger mit dem Cyber Innovation Hub der Bundeswehr hilft
- Der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr stand eine zeitlang wegen hoher Kosten in der Kritik. Nun aber lobte die Wehrbeauftragte ihn in ihrem Bericht.
- Seit Juni 2020 leitet Sven Weizenegger den Hub. Der Zivilist, der seine Karriere bei der Telekom begann, arbeitet daran Soldaten durch digitale Lösungen im Alltag zu helfen.
- Zu den Erfolgen des Hubs zählen Arztsprechstunde per Video oder ein Lichtfeld zur Versorgung Verwundeter. Doch nicht alle Ideen schaffen es auch in die Kasernen.
Der jährliche Bericht des Wehrbeauftragten des deutschen Bundestages ist in der Regel kein Grund zur Freude. Seitenlang reihen sich dann Mängel und Fehler der Bundeswehr aneinander. So auch im Kapitel „Digitales“: schlechtes WLAN oder die fehlende Digitalisierung von Arbeitsnachweisen.
An einer Stelle jedoch wird der Bericht gerade zu euphorisch. „Mit dem Cyber Innovation Hub hat die Bundeswehr ein Instrument geschaffen, das Innovationen schneller in die Hand der Soldatinnen und Soldaten bringen soll. Es handelt sich hierbei um ein in der Bundeswehr einzigartiges Konstrukt, bei dem Soldatinnen und Soldaten, Reservedienstleistende, Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in gemischten Teams zusammenarbeiten.“, schreibt die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD). Die ersten Ergebnisse seien „erfreulich“. Und: „Von solchen pragmatischen schnellen Lösungen sollte es mehr geben.“
Unter dem vorherigen Leiter gab es Kritik an den hohen Ausgaben
Besonders freuen dürfte dieses Lob Sven Weizenegger. Der 39-Jährige leitet den Cyber Innovation Hub der Bundeswehr seit Juni letzten Jahres. Der Zivilist löste Marcel Yon, Fregattenkapitän der Reserve, ab. Unter Yon hatte es Kritik an der digitalen Einheit gegeben, vor allem an hohen Kosten etwa für vier Samtsofas à 10.000 Euro oder Kaffeemaschinen für 23.292,40 Euro, viele Reisen zu Tech-Festivals und die Miete für das Gebäude in Moabit. So bemängelte es nach Informationen des Spiegels ein Bericht des Koblenzer Wehrbeschaffungsamtes 2019. Äußern wollte sich der Cyber Innovation Hub dazu nicht.
Trotz der Kritik hat der Bundestag das Projekt für die nächsten drei Jahre verlängert. Der Hub wurde aber in den staatlichen IT-Dienstleister BWI eingegliedert. 10 Millionen Euro Budget pro Jahr bekommt der Hub aus dem Bundeshaushalt. Der Sitz ist immer noch in Moabit, in einem großen Backsteingebäude. Im Erdgeschoss ist eine Shisha-Bar, während oben rund 40 Mitarbeiter an Projekten für die Truppe arbeiten.
Die Mitarbeiter setzen sich bunt zusammen, aus Reservisten, aktiven Soldaten und Zivilisten. Zu letzteren gehört auch Weizenegger. Er habe nie gedient, sei bei der Musterung durchgefallen, sagte der Leiter des Hubs im Gespräch mit Business Insider. Dennoch empfinde er große Ehrfurcht vor dem, was die Soldatinnen und Soldaten leisten, da sei „ein großes Ehrgefühl, etwas zurückzugeben und eine sehr fokussierte Herangehensweise an die Dinge“, von denen manche Gründer lernen könnten.
Der erste Hacker der deutschen Telekom
Weizenegger selbst kommt aus der digitalen Welt: als erster Hacker der Telekom, der Schwachstellen im System des Telekommunikationsanbieters aufdecken sollte, arbeitete er sich im Konzern in 13 Jahren nach oben. Dann stieg er aus, heuerte beim Fintech Kreditech an, gründete das Cybersecurity-Startup Perseus mit, gründete ein weiteres Cybersecurity-Startup namens Suza, bevor der Ruf des Hubs kam.
Weizeneggers Aufgabe ist keine einfache: als Schnittstelle zwischen Armee und digitaler Welt, sollen er und sein Team Anwendungen selbst oder mit Startups entwickeln, die Nutzen für die Truppe bringen. Das Feld sei die „grüne IT“, also Informationstechnik, die in Waffensysteme eingebettet ist. Alle drei Monate gibt es ein Treffen mit Benedikt Zimmer, Staatssekretär für Ausrüstung, Cyber/Informationstechnik und Planung im Verteidigungsministerium.
Innovation aus eigenen Reihen und von Startups
Schnell soll es gehen mit den Innovationen, 90 Tage ist das Wunschziel, um ein Produkt bis zu einer ersten anwendbaren Reife zu bringen, dem Minimum Viable Product (MVP), das dann anhand der Rückmeldung der Nutzer weiterentwickelt wird. „Unsere Aufgabe ist es nicht, Papiere zu schreiben, sondern Dinge umzusetzen. Wir sind kein Thinktank, sondern ein Do-Tank“, beschreibt Weizenegger die Mission.
Diese soll möglichst mit der Truppe passieren. „Wenn kein Corona wäre, wären wir jeden Tag in den Kasernen unterwegs“, sagt Weizenegger. Der Hub will die innovativen Köpfe der Bundeswehr fördern. Intrapreneuership nennt sich das Finden von Ideen aus den eigenen Reihen. Alle sechs Monate soll eine Innovation Challenge stattfinden, ein Austausch, bei dem im Hub Ideen mit Angehörigen der Bundeswehr entwickelt werden. „Bei der letzten Challenge sind rund 82 Lösungen entstanden, die sich per digitalem Crowd-Voting auf 11 reduziert haben,“ sagt Weizenegger.
Zu seinem Job gehört auch der Kontakt zu Startups, deren Produkte für die Truppe infrage kommen. Gibt es Vorbehalte auf deren Seite? „Nein, eher positive Überraschung, in wie vielen unterschiedlichen Feldern die Bundeswehr aktiv ist“, so Weizenegger.
Apps für die Bahnfahrt, ein Lichtfeld für Verwundete, Arztbesuch per Video
Zu den Beispielen, die es in die Truppe geschafft haben, gehören ein Segelflugsimulator, der mit einem Startup zusammen in sechs Monaten entwickelt wurde und rund 12.000 Euro gekostet hat. Vier Simulatoren davon stehen jetzt bei der Luftwaffe.
Oder eine App fürs kostenlose Bahnfahren, die Soldatinnen und Soldatenauf ihrem Privathandy nutzen können und die das Ausfüllen von Formularen überflüssig macht. Auch ein Lichtfeld zählt dazu, quasi eine Matte mit Leuchtmitteln. Es soll als Lichtquelle dienen, wenn es vor Ort keine Stromversorgung gibt, aber Verletzte versorgt werden müssen. An die Wand gehängt oder auf den Boden gelegt, sorgt es für Helligkeit. In Zeiten von Corona wurden Gesundheitsthemen wichtiger, also empfahl der Cyber Innovation Hub ein Telemedizin-System, bei dem Arzt und Patient per Video kommunizieren können.
Derzeit untersucht der Cyber Innovation Hub 70 Vorhaben, wie es im Bericht der Wehbeauftragten heißt. Weizenegger selbst sagt, er habe bisher zehn Projekte so weit gebracht, um sie zur Einführung bei der Truppe empfehlen zu können. „Allein mit der App für Bahnfahrten in Uniform erreichen wir 60.000 Soldatinnen und Soldaten.“, so Weizenegger.
Ob eine Empfehlung wirklich eingesetzt wird, entscheidet die Bundeswehr. Ob viele Projekte dann in der Schublade verschwinden? Weizenegger: „Wir sehen auch die abgelehnten Projekte, also die, die wir nicht empfehlen, nicht als Scheitern, sondern im Gegenteil. Jedes Innovationsvorhaben, was getestet wird, bringt einen Erkenntnisgewinn und trägt dazu bei, das innovative Mindset in der Bundeswehr – im Sinne von trial and error – zu stärken.“
Original-Quelle: https://www.businessinsider.de/wirtschaft/vom-startup-in-die-kaserne-wie-sven-weizenegger-mit-dem-cyber-innovation-hub-die-bundeswehr-digitalisieren-soll/
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