Fehlerkultur: Jenseits des Buzzwords
Ich bin ein großer Fan von Ray Dalio. Wer ihn nicht kennt: Ray Dalio gehört zu den beeindruckendsten Investoren und Unternehmern der Gegenwart. Von seinem Wohnzimmer aus gründete er 1975 die Bridgewater Association. Heute ist sein kleines Start-up das laut Fortune fünftwichtigste Unternehmen der USA und er einer der reichsten – und einflussreichsten! – Menschen der Welt.
In seinem Buch „Principles“ berichtet Dalio von einem schweren Fehler, den einer seiner engsten Führungskräfte begangen hatte. Dieser Mitarbeiter vergaß, ein Handelsgeschäft an der Börse für einen großen Kunden abzuschließen. Die Folge war ein Schaden von mehreren hunderttausend Dollar. Ein ziemlich schwerer Fehler, finanziell, aber auch für die Reputation der Firma.
Was macht man in einem solchen Moment? Dalio überlegte, seinen Mitarbeiter hochkant rauszuwerfen und damit ein Zeichen zu setzen, dass Fehler in der Firma nicht geduldet werden.
Aber das war für ihn der falsche Weg. Denn Fehler passieren ständig. Wenn man Fehler bestraft, setzt man nur einen Anreiz für Mitarbeiter, ihre Fehler zu verschweigen und zu verstecken – was am Ende nur zu mehr und größeren Fehlern führen würde, die man weniger schnell entdeckt und die man weniger gut reparieren kann. Dalio sagt: Fehler und Probleme dürfen nicht versteckt werden, sondern müssen an die Oberfläche, um zu lernen, wie man die Dinge besser macht.
Das Problem-Logbuch
Statt seinen Mitarbeiter zu feuern, richtete er einen „issue log“ ein, ein „Problem-Logbuch“, wenn man so will. Die Regel war einfach: Wenn etwas schieflief, musste man es in dieses Logbuch aufnehmen, den Ernst der Lage ranken und klarmachen, wer verantwortlich war. Wenn einem Mitarbeiter ein Fehler passierte und er ihn eintrug, war er okay. Wenn er ihn nicht eintrug, sprich: verheimlichte, bekam er ziemlich großen Ärger.
Das Logbuch schaffte eine Unternehmenskultur, in der Fehler und Probleme an die Oberfläche gebracht werden – und wo es akzeptiert war, dass Fehler passieren, und man diese schnell löst.
Fehler sind scheiße. Aber man kann aus ihnen lernen
Genau darum geht es bei dem Schlagwort „Fehlerkultur“. Niemand macht gern Fehler, und niemand hat es gern, wenn die Kollegen oder Mitarbeiter Fehler machen. Fehler machen Probleme, schaffen Stress, schaden oft dem Ansehen des Unternehmens oder kosten Geld. Um es ganz klar zu sagen: Fehler sind richtig scheiße.
Fehlerkultur heißt daher nicht, den Fehler an sich zu feiern. Sondern Fehlerkultur heißt: Ein Anreizsystem so schaffen, damit Fehler möglichst selten passieren, möglichst wenig schaden und möglichst schnell entdeckt und repariert werden. Aus jedem Fehler muss die Organisation als Ganzes lernen können, damit nicht der gleiche Fehler immer wieder passiert.
In der Techniksoziologie gibt es das Konzept des „fehlerfreundlichen Systems“. Der Begriff entstand aus der Risikoforschung zu Atomkraftwerken, die bekanntlich ja extrem sicher sein müssen, weil ein Fehler verheerende Auswirkungen haben kann. Aber weil auch im Atomkraftwerk nicht alles immer reibungslos funktioniert – zum Beispiel, wenn bestimmte Komponenten nicht richtig gefertigt sind – muss das System als Ganzes dennoch so sicher sein, dass es Fehler toleriert, und trotzdem weiterläuft, und der Fehler entdeckt und behoben werden kann. Kurz: Es muss eben fehlerfreundlich sein.
Lösungsorientiert denken
Als Führungskraft wäre es falsch, die Schuldfrage zu stellen. Klar muss man wissen, wer verantwortlich war – aber nur, um das Problem zu adressieren und daraus zu lernen. Immer unbedingt einen Schuldigen finden zu wollen, bringt einen ja kein Stück weiter.
Das gilt erst recht für Sanktionen für den sozusagen schuldigen Mitarbeiter, wie Drohungen mit Konsequenzen oder dergleichen. Auch Sätze wie „Wenn so etwas noch einmal passiert“ helfen überhaupt nicht weiter. Der Mitarbeiter weiß ja selbst, dass er etwas falsch gemacht hat, und fühlt sich schlecht genug.
Das bewirkt genau das Gegenteil von dem, was es bewirken soll. Denn es gibt Mitarbeitern den Anreiz, sich zu verstecken und mit dem Finger auf andere zu zeigen. Es erzeugt Angst, Stress, und Lügen. Am Ende traut sich der Mitarbeiter gar nichts mehr, weil er Angst hat, Fehler zu machen. Dann wird er weniger arbeiten, um weniger Fehler zu machen.
Eine agile Unternehmenskultur kann sich so niemals entwickeln. Jede Eigen-Initiative, jedes schnelle Ausprobieren, jedes eigenständige Denken und Handeln wird im Keim erstickt. Die Folge sind tausend Freigabeprozesse, die am Ende so langwierig werden, dass sie das Unternehmen träge und behäbig machen, dass Mitarbeiter sie informell umgehen, und dass ein teurer und unnötiger bürokratischer Wasserkopf entsteht.
Statt problemorientiertem Denken, das in die Vergangenheit schaut, brauchen wir lösungsorientiertes Denken, das in die Zukunft schaut. Statt den Schuldigen zu suchen, müssen wir Fehler so früh machen, dass sie möglichst wenig schaden, und sie möglichst schnell reparieren.
Das heißt, als Führungskraft muss man fragen:
- Warum ist der Fehler passiert?
- Wie wahrscheinlich ist es, dass er wieder passiert?
- Was kann wer daraus lernen?
- Wie können dieselben Fehler in Zukunft verhindert werden?
Lernkultur statt Fehlerkultur
Und ich finde, es ist besser, statt von Fehlerkultur von einer Lernkultur zu sprechen. Denn man will ja nicht den Fehler betonen, sondern man will lernen und es besser machen.
Deswegen finde ich auch die Fuck-Up-Nights zwiespältig, wo sich Leute auf die Bühne stellen, über ihr Scheitern reden und sich für ihr Scheitern feiern lassen. Scheitern ist zwar ganz gewiss nicht ehrenrührig, Steve Jobs ist ja auch gnadenlos gescheitert, bevor er den Durchbruch schaffte. Aber Scheitern ist auch kein Selbstzweck, Scheitern ist nicht cool, Scheitern muss man nicht feiern, sondern Scheitern soll dich dazu bringen, die Dinge noch besser zu machen.
Daher: Keine Kultur des Scheiterns, sondern eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit und eine Kultur des Lernens. Scheitern braucht man nicht zelebrieren, denn Scheitern wird man sowieso, wenn man Großes vorhat.
Ray Dalio schreibt in seinen „Principles“:
„If you're not failing, you're not pushing your limits, and if you're not pushing your limits, you're not maximizing your potential.“
In diesem Sinne: Lasst uns Fehler machen und daraus lernen.
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